Rundrücken behindert die Atmung

Aktion Kid-Check: Experten fahnden nach Haltungsschwächen bei Kindern und Jugendlichen – Interview mit Professor Dr. Eduard Schmitt

Kid-Check heißt eine Aktion der Universität des Saarlandes, bei der Ärzte und Wissenschaftler kostenlos Kinder und Jugendliche auf Haltungsschwächen untersuchen. Über die bisherigen Ergebnisse sprach SZ-Redakteur Martin Lindemann mit dem Orthopäden Professor Dr. Eduard Schmitt von der Uniklinik in Homburg.

Wie die Kid-Check-Untersuchungen zeigen, leiden viele Kinder unter Haltungsschwächen. Was ist eigentlich eine gesunde Haltung?

Schmitt: Von einer gesunden Haltung sprechen wir, wenn ein Mensch die Wirbelsäule im Stand voll aufrichten und diese Position bei waagerecht ausgestreckten Armen eine Minute halten kann. Wie gut ihm das gelingt, ist nicht nur von der Muskelkraft abhängig. Unser Nervensystem steuert über Reflexe ständig unsere Haltung. Diese Regulation ist abhängig vom Alter, vom Kräftevorrat und von der seelischen Verfassung, aber auch von erblichen Einflüssen. Eine gute Haltung bedeutet demnach, dass eine Person ihre Körperspannung, insbesondere der Rücken- und Bauchmuskulatur über längere Zeit ohne Ermüdung aufrechterhalten kann. Im günstigsten Falle liegen die einzelnen Körperabschnitte Fuß, Hüfte, Rumpf und Kopf wie im Lot übereinander.

Welches sind die Ursachen für Haltungsschwächen und welche Folgen haben sie?

Schmitt: Wir sprechen von einer Haltungsschwäche, wenn eine Person die beschriebene aktive Körperhaltung nicht über längere Zeit halten kann. Die ausgestreckten Arme sinken nach kurzer Zeit nach vorne, die Krümmung der Wirbelsäule im Lendenbereich vertieft sich zum Hohlkreuz, und das Becken kippt nach vorne. Eine schwach ausgebildete und vom Nervensystem schlecht eingesetzte Muskulatur ist eine wichtige Ursache. Aber auch psychische Faktoren ebenso wie Schwächen des Binde- und Stützgewebes spielen eine Rolle. Kinder mit Haltungsschwäche sind also nicht in der Lage, ihre Wirbelsäule über längere Zeit muskulär zu stabilisieren. Die Rückenmuskulatur ermüdet rasch; beim Sitzen in der Schulbank sinkt der Oberkörper in sich zusammen. Durch diesen Rundrücken verkleinert sich der Umfang des Brustkorbes und die Atmung wird behindert. Dadurch wird das Gehirn schlechter mit Sauerstoff versorgt, Konzentration und Leistungsfähigkeit lassen nach.

Wieso leiden heute so viele Kinder unter Haltungsschwächen?

Schmitt: Unsere Kinder sitzen durchschnittlich fünf bis sechs Stunden in der Schule und danach noch über drei Stunden vor dem Fernseher, dem Computer oder den Hausaufgaben. Durch diese mangelnde Bewegung verkümmert die Muskulatur oder bildet sich einseitig aus. Hinzu kommt oft eine schlechte Sitzposition, wenn die Schulmöbel oder der Schreibtischstuhl zu Hause falsch eingestellt sind. Dann nehmen die Kinder eine gebückte Arbeitsposition ein, die dazu führt, dass die für die Haltung so wichtige Rücken- und Bauchmuskulatur schwach wird oder überdehnt. Viele Kinder gleichen dies auch nicht mehr durch eine angemessene sportliche Betätigung aus.

Gibt es Möglichkeiten, solche Haltungsschwächen zu beheben?

Schmitt: Eigentlich sollte man vorbeugend verhindern, dass Haltungsschwächen überhaupt entstehen. In den Schulen sollten geeignete Schulmöbel in der richtigen Größe zur Verfügung stehen. Oft sitzen Schulkinder mit ganz unterschiedlicher Körpergröße auf denselben Stühlen. In Bewegungspausen sollten sie die verspannten Muskeln wieder lockern können. Dadurch verbessern sich auch die Atmung und die Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff. Wichtig ist auch eine ausgleichende sportliche Betätigung der Kinder, aber auch regelmäßige körperliche Ruhe und genügend Schlaf. Die von Orthopäden und Sportwissenschaftlern schon seit Jahrzehnten erhobene Forderung nach der täglichen Sportstunde hat bisher bei den Verantwortlichen kein Gehör gefunden. Zusätzlich wirken sich natürlich auch Ernährungsfehler negativ aus: 20 bis 30 Prozent der Kinder sind mittlerweile übergewichtig.

Um Haltungsschwächen zu beheben, müssen die Kinder zunächst ein Gefühl für den eigenen Körper entwickeln, zum Beispiel mit Balance- und Geschicklichkeitsübungen. Schwache Muskelgruppen werden unter Kontrolle einer Krankengymnastin gekräftigt, das Gefühl für die richtige Haltung kann durch tägliche Übungen vor dem Spiegel verbessert werden. Haltungsschwache Kinder sollten in jedem Fall am Sportunterricht teilnehmen. Auch Schwimmen und Reiten können sinnvoll sein, bei kleineren Kindern tänzerische Gymnastik.

Wie unterscheiden sich Haltungsschwächen von Haltungsschäden?

Schmitt: Haltungsschwächen sind zunächst keine Krankheiten. Auch der so genannte Haltungsverfall, bei dem eine Person die aktive Haltung mit ausgestreckten Armen überhaupt nicht mehr einnehmen kann, ist nicht krankhaft. Dennoch müssen sie behandelt werden, weil sie sich zu einem ernsthafte Haltungsschaden entwickeln können. Wie unsere Kid-Check-Untersuchungen mit verschiedenen Testgruppen gezeigt haben, verbessern sich Haltungsschwächen bei Jugendlichen durch entsprechendes Training schon nach einem halben Jahr deutlich. Haltungsschäden hingegen bilden sich in der Regel nicht mehr zurück. Der Schaden bleibt und kann sich weiter verschlimmern. Sitzt etwa ein Kind ständig gebückt, so wächst der hintere Anteil der Wirbelkörper schneller als der vordere. Die Wirbel werden keilförmig, es bildet sich ein Rundrücken aus. In diesem Fall ist eine Therapie wichtig, aber auch eine gute Beratung hinsichtlich Berufswahl und sportlicher Aktivitäten.

Welche Rolle kommt den Eltern bei der körperlichen Fitness ihrer Kinder zu?

Schmitt: Eltern haben eine Vorbildfunktion. Es ist erwiesen, dass Kinder von sportlichen Eltern selbst häufiger Sport treiben. Zur Fitnesserziehung der Kinder gehört, dass die Eltern darauf achten, dass sich die Kinder bewegen, dehnen und vernünftig ernähren. Gemeinsames Sporttreiben wirkt sich auch positiv auf das Familienleben aus. Wir dürfen nicht vergessen, dass gemeinsamer Sport auch die seelischen Kräfte zur Aufrichtung der Haltung aktiviert.