Kinder erst ab sechs Jahren gezielt trainieren

Frankfurter Ausdauerstudie: Für Vorschulkinder empfehlen Experten Gleichgewichts- und Koordinations-Übungen

Kinder können sehr wohl sportliche Höchstleistungen erbringen. Das deutsche Durchschnittskind ist hingegen keine Sportskanone: zu dick, zu träge, zu unbeweglich.
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Ein Test auf dem Fahrradergometer bringt ans Licht, wenn es Kindern an Kondition fehlt. Ein gut trainiertes Herz-Kreislauf-System ist ebenso wichtig wie eine leistungsfähige Muskulatur.

Engagierte Eltern, Trainer und Sportlehrer wollen Abhilfe schaffen. Für sie stellt sich die Frage, welches Training Kinder brauchen und wie viel sie vertragen können. Professor Dr. Roland Hofstetter, Kinderarzt und Herzspezialist an den Universitätskliniken in Frankfurt am Main, erklärt, dass Vorschulkinder in erster Linie Geschicklichkeit und Koordination üben sollten. Durch ein solches Training werden Nerven und Muskeln miteinander verschaltet, die Feinkoordination und das Gleichgewichtsvermögen gefördert. Damit wird eine Basis für spätere Trainingserfolge geschaffen. Mit Eintritt ins Schulalter sollten Kinder dann frühestens mit einem gezielten Training beginnen.

Dass regelmäßiges Training die Ausdauerleistung der Kinder messbar verbessert, belegt eine Studie aus Hofstetters Abteilung. 100 Kinder im Alter zwischen sieben und 15 Jahren wurden auf einem speziell für Kinder entwickelten Fahrradergometer bis zur Erschöpfung untersucht. Untrainierte Kinder erreichten eine Maximalleistung von durchschnittlich knapp zwei Watt pro Kilogramm Körpergewicht, sportliche Kinder schafften hingegen etwa drei Watt. In Einzelfällen konnten sehr gut trainierte Kinder auf dem Rad sogar über vier Watt erreichen. Zum Vergleich: Profi-Radrennfahrer Jan Ullrich schafft bei Leistungstests bis zu 6,7 Watt pro Kilo Körpergewicht. Roland Hofstetter berichtet, dass in anderen Studien auch nachgewiesen wurde, dass regelmäßiges Training das Herz der kindlichen Leistungssportler deutlich stärkt. Der Herzmuskel ist insgesamt kräftiger und seine Pumpleistung höher als bei untrainierten Altersgenossen. Doch nicht nur das Herzkreislaufsystem, sondern auch die Muskelkraft lassen sich bei Kindern gezielt trainieren. In den USA sind, so Hofstetter, Kinderfitness-Studios bereits an der Tagesordnung. Ein Krafttraining sei sicher und effektiv, wenn es kindgerecht durchgeführt werde. Zum Beispiel würden häufige Wiederholungen der Übungen mit mäßigen Lasten zu einer deutlichen Kraftzunahme führen. Ein Training mit hohen Lasten und wenigen Wiederholungen sei dagegen ungeeignet. Parallel zur Steigerung der Kraft lässt sich auch bei Kindern eine Zunahme an Muskelmasse feststellen. Im vergangenen Jahr wurden bei einer Untersuchung in Kalifornien Schulmädchen und erwachsene Frauen fünf Wochen lang gezielt trainiert. Um die Erfolge des Krafttrainings zu dokumentieren, vermaßen die Wissenschaftler die Oberschenkelmuskulatur der Teilnehmer mittels Kernspintomografie. Die Mädchen erreichten prozentual denselben Muskelzuwachs wie die Frauen. Doch trotzdem sind Kinder keine kleinen Erwachsenen, und das Sporttraining muss sich daher vom Erwachsenentraining unterscheiden. „Kinder haben ein inneres Warnsystem, das sie vor Überlastung schützt“, erklärt Hofstetter. Sie hören instinktiv auf, wenn eine körperliche Überforderung droht. Beim Fußball könne man zum Beispiel beobachten, dass Kinder spontan an den Spielfeldrand gehen, wenn sie erschöpft sind. Diese innere Bremse könne bei einem kindgerechten Training mit Puls- und Zustandskontrolle beachtet und die Belastung entsprechend dosiert werden.

Vorsicht sei jedoch im Wettkampf geboten, wenn Anfeuerungsrufe und der Ehrgeiz des Kindes das Warnsystem lahm legen, macht der Kinderarzt klar. Aus diesem Grund seien im Radsport in den Jugendklassen zum Beispiel niedrige Übersetzungen der Zahnräder verboten, die zwar ein schnelleres Fahren ermöglichen, aber einen hohen Kraftaufwand erfordern. „Ein Marathon ist grundsätzlich nichts für Kinder“, sagt Roland Hofstetter, „nicht nur wegen der Maximalbelastung von Herz und Kreislauf, sondern auch wegen der Gefährdung des noch unausgereiften Gelenk- und Skelett-Systems.“

Eine besonders kritische Phase im Kindersport ist die Pubertät. Durch den Wachstumsschub ändern sich die Körperproportionen und damit die Hebellängen sehr rasch, und die Kinder müssen ständig ein neues Körpergefühl entwickeln. Durch die hormonelle Umstellung driftet die sportliche Leistung von Mädchen und Jungen auseinander. Die Frankfurter Studie zeigte, dass bis zum Alter von elf Jahren keine Unterschiede in der Leistung der beiden Geschlechter festzustellen sind. Bei den Zwölfjährigen waren die Mädchen den Jungen sogar gering überlegen. Die Ärzte erklären dies mit dem für diese Altersstufe typischen Entwicklungsvorsprung. Doch ab dem 13. Lebensjahr konnten die Mädchen mit den Jungen nicht mehr mithalten.

Auch andere Studien belegen, dass mit Einsetzen der Pubertät Mädchen nicht nur in Bezug auf Kraft und Schnelligkeit, sondern auch in der Ausdauer den Jungen unterlegen sind. Professor Hofstetter erklärt, dass die größere Kraft und bessere Ausdauer der Jungen sich gegenseitig bedingen: Männliche Hormone führen zu einem stärkeren Muskelzuwachs, und das Herzkreislaufsystem passt sich wiederum der größeren Muskelmasse an.