Täglich toben hält den Nachwuchs fit

Kinder lieben sportliche Betätigung – Nur Spielen im Freien garantiert eine optimale körperliche und geistige Entwicklung

Der Abwärtstrend hält an: Schon Klein- und Grundschulkinder haben motorische Schwächen, sind unkonzentriert und übergewichtig. Dabei lassen sich Mädchen und Jungen leicht für Sport und Spiel begeistern.

Skateboardfahren ist eine der anspruchsvollsten Freizeit- Sportarten für Kinder und Jugendliche. Solche Kunststücke gelingen nur nach eifrigem Training.

Wer zu viel rastet, der rostet – das alte Sprichwort gilt auch für Kinder. Wenn man den alarmierenden Meldungen von Ärzten und Sportpädagogen glaubt, bevölkert eine unsportliche Horde die deutschen Kinderzimmer: Pummelchen und Stubenhocker, die nicht rückwärts laufen oder auf einem Bein stehen können, aber dafür stundenlang vor Fernsehern und Computern hängen. Auch wenn solche Horrorszenarien deutlich übertrieben sind, ein Körnchen Wahrheit steckt in ihnen. Mit den motorischen Fähigkeiten der Kinder geht es seit einigen Jahrzehnten tatsächlich bergab.

Dies bestätigt Professor Dr. Werner Schmidt, Sportwissenschaftler an der Universität Essen, der sich im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit seit Jahren mit der motorischen Entwicklung von Klein- und Schulkindern beschäftigt. Es gibt viele Gründe für den Abwärtstrend. Neben Änderungen in der Familienstruktur, wie steigende Zahlen an Einzelkindern und überforderten, allein erziehenden Müttern und Vätern, sieht Schmidt einen wesentlichen Faktor beim liebsten Kind im Lande, dem Auto. Während die Geburtenrate stetig sinkt, hat sich die Zahl der Pkw in den letzten 30 Jahren um 500 Prozent erhöht. Und da so viel Blech nicht nur gefahren, sondern auch geparkt wird, haben sich die zum Auto gehörigen Flächen seit 1960 versiebenfacht.

Schlechte Karten für Kinder, nicht nur wegen der Unfallgefahr. Wo freie Flächen Parkplätzen weichen müssen, kann man nicht Cowboy und Indianer spielen. Verloren geht nicht nur der Spaß. Auch für die körperlichen Fähigkeiten hat die Allgegenwärtigkeit der Karossen verheerende Auswirkungen, denn durch fehlende Entwicklungsreize verkümmern die motorischen Fähigkeiten, die in jedem Kind stecken. Szenen, die einmal als typisch für die Kindheit galten, sind längst Nostalgie: Ein Kind, das über Nachbars Zaun und dann auf dessen Baum klettert, um Äpfel zu klauen, auf dem Rückweg lässig über eine Mauer balanciert und dann mühelos herunter springt. Kleine Mädchen, die vor der Haustüre Wettbewerbe in Gummitwist und Seilspringen veranstalten, während die Jungen Fußball oder Rollhockey spielen. Das was früher normal war, kann nach Meinung von Schmidt für die Entwicklung der Kinder gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Neben der Ausbildung von Grob- und Feinmotorik lernen Kinder auf der Straße spielend soziale Regeln, üben sich in sozialen Rollen und erwerben Verhaltensstrategien.

Noch heute wissen die gebremsten Kinder unserer Städte instinktiv, was gut für sie wäre: 84 Prozent geben Sport als ihr liebstes Hobby an, für 63 Prozent ist der Sportunterricht das liebste Fach in der Schule. Doch wohin mit dem Bewegungsdrang? Im besten Fall wird er in den Sport geleitet. Mehr Kinder als jemals zuvor sind bereits im Alter von vier bis sechs Jahren Mitglied eines Sportvereins, inzwischen erreichen die Zahlen die 40-Prozent-Marke. Doch der angeleitete Vereinssport sollte nur die „Kür“ sein, erklärt Schmidt. Die „Pflicht“, nämlich das freie Spielen auf der Straße, ist für eine optimale körperliche Entwicklung nach wie vor unverzichtbar. Zur Erklärung führt Schmidt Untersuchungen des Kölner Sportmediziners Wildor Hollmann an. Dieser geht davon aus, dass tägliche Bewegung oberhalb einer so genannten „60-Prozent-Schwelle“ der maximalen körperlichen Belastbarkeit grundlegend für eine gesunde Organ-Entwicklung ist. Diese Schwelle wird von heutigen Durchschnittskindern weder in der Schule noch in der Freizeit erreicht. Nur bei regelmäßiger Beanspruchung oberhalb dieser Schwelle können jedoch alle Organe sowie die Skelett-Muskulatur und sämtliche Stoffwechselvorgänge optimal entwickelt werden, was nicht nur den Ansatz von Fettdepots verhindert, sondern auch den Leistungsgrad der einzelnen Zellen erhöht. Ein großer Teil der körperlichen Entwicklung verläuft nur durch Einflüsse aus der Umwelt erfolgreich, nicht alles passiert „von alleine“, das heißt, durch Alter und Reifung. Äußere Reize haben daher einen enormen Einfluss auf die Entwicklung von Nervenzellen. „Das freie Spielen bietet die besten Lernvoraussetzungen“, erklärt Werner Schmidt, „Kinder unter sich vergessen alles andere um sie herum, sind hoch konzentriert und engagiert.“ Neben der Motorik entwickeln sich auch Autonomie und soziale Kompetenz am besten unter Gleichaltrigen. Diese Voraussetzungen sind im angeleiteten Sport nicht in entsprechenden Maße gegeben, obwohl dieser als zusätzliches „Sahnehäubchen“ für die kindliche Entwicklung günstig ist. Allerdings kommen viele Kinder weder in den Genuss von Straßenspiel noch von Sport. Vereine kosten Geld und Zeit, und nicht allen Eltern ist klar, wie wichtig Bewegung für ihr Kind ist. Soziale Ungleichheit wirkt sich hier also bereits früh auch im Bewegungsbereich aus.