Eckige Bewegungen durch Mangel an Körpergefühl

Im Sportverein werden zu früh Technik und Taktik trainiert – Wichtiger ist athletische Grundausbildung

Kinder und Jugendliche, die in Vereinen Sport treiben, verfügen im Vergleich zu reinen Schulsportlern über eine bessere Körpersteuerung, aber nicht unbedingt über mehr Kraft und eine bessere Dehnung.
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Therabänder sind geeignete Hilfsmittel, um Kraft und Motorik zu schulen. Kinder mit schlechter Körperkoordination sind jedoch mit solchen anspruchsvolleren Übungen womöglich schon überfordert.

Das ergibt sich aus den bisherigen Ergebnissen des Kid-Check, der großen Fitness-Aktion der „Saarbrücker Zeitung“ in Zusammenarbeit mit saarländischen Ärzten und Wissenschaftlern. Offenbar vernachlässigen viele Trainer und Übungsleiter auch das Kraft- und Dehnungs-Training sträflich, weil sie zu wenige Informationen über den Nutzen haben.

Sowohl die Defizite bei Kraft und Dehnung als auch bei der Körper-Koordination und Muskel-Steuerung lassen sich mit relativ geringem Trainingsaufwand beheben. Das gilt auch für ein mangelhaftes Gleichgewicht. Wer über ein gutes Gleichgewicht verfügt, weist auch eine bessere Körperhaltung auf. Gerade bei den Gleichgewichts-Tests im Rahmen des Kid-Check wurde aber offenkundig, dass viele Mädchen und Jungen die Aufgaben zwar irgendwie lösen, dabei jedoch deutliche Defizite im Bewegungsfluss, bei der Präzision, im Rhythmus und der Bewegungsökonomie aufweisen. Über zwei Drittel der Kinder zeigten solche Unsicherheiten.

Eine gute Haltung hängt also von vielen Faktoren ab. Die Muskulatur muss stark genug und gleichmäßig ausgeprägt sein, um wie ein Korsett die Wirbelsäule und die Gelenke stützen und schützen zu können. Zudem müssen die Muskeln gut gedehnt und geschmeidig sein, damit sie nicht unnötig stark an den Gelenken ziehen. Wichtig ist es aber auch, Koordination und Gleichgewicht zu schulen.

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Bei diesem Koordinationstest aus dem Kid-Check- Programm müssen die Kinder zwischen zwei übereinander gespannten Seilen hindurchspringen, ohne diese zu berühren. Nicole Orosz (links) und Barbara Specht vom Sportwissenschaftlichen Institut der Saar-Uni leiten diesen Test.

Der Prozess, seine eigene Körperposition bewusst und gezielt zu beeinflussen, beginnt im Kopf. Wie schwierig es allerdings ist, komplizierte Bewegungsabläufe zu erlernen, weiß jeder, der den Führerschein gemacht hat. Zu Beginn ist es sehr schwer, die Pedale richtig zu bedienen, gleichzeitig den Schaltknüppel zu betätigen, den Verkehr im Auge zu behalten und das Lenkrad zu drehen. Man muss längere Zeit üben, bis diese Tätigkeiten automatisch ablaufen. „Körperwahrnehmung und -beherrschung müssen ebenfalls erlernt und trainiert werden“, betont Dr. Oliver Ludwig, der wissenschaftliche Leiter des Kid-Check.

Seine Bauchmuskeln gezielt ansteuern und aktivieren zu können, erfordert einige Übung. Doch allmählich werden die Nervenbahnen verbessert, die vom Gehirn zu den Bauchmuskeln verlaufen. Man spricht von der neuronalen Bahnung. Wenn man täglich 20 bis 30 Minuten übt, verläuft ein solcher Prozess schon nach sechs Wochen optimal. Das heißt, die Kinder sind in der Lage, ihre Körperposition bewusst zu verbessern, indem sie zum Beispiel Bauch- und Gesäßmuskeln anspannen und dadurch das Becken aufrichten. Das Hohlkreuz verschwindet. Im Alltag, Training und Wettkampf läuft der oft geübte Prozess schließlich automatisch ab.

Das Gehirn sammelt und verarbeitet die Informationen, die über die Nervenbahnen von den Muskeln, Sehnen und Bändern kommen. Anhand dieser Informationen setzt das Gehirn bereits festliegende Bewegungsabläufe in Gang und verändert sie dann fortlaufend. Die Bewegungen wirken eckig und hilflos, wenn es an Körpergefühl mangelt. Gute Körperhaltung hat also nichts mit ständigem Strammstehen zu tun. Man darf durchaus auch einmal eine Schlaffi-Haltung einnehmen. Im Wesentlichen kommt es darauf an, seine Körperposition bewusst und gezielt beeinflussen zu können. Haltungs- und Bewegungs-Defizite hingegen schränken die körperliche und somit die sportliche Belastbarkeit ein, das Leistungsvermögen sinkt.

Im Laufe der Kid-Check-Untersuchungen hat sich gezeigt, dass vielen Kindern – vor allem aus Mannschaftssportarten – einige auffällige Haltungs- und Bewegungsschwächen regelrecht antrainiert worden sind: durch einseitiges oder sogar falsches Training. Das heißt jetzt keineswegs, dass die Experten davor warnen, Sport zu treiben. Ganz im Gegenteil: Da viele Kinder deutliche motorische Schwächen aufweisen und unter Bewegungsmangel leiden, sollten sie sich unbedingt sportlich betätigen. Die Vereine und Trainer – und das ist ein Ziel der Aktion Kid-Check – müssen jedoch dafür sorgen, dass ihre Schützlinge eine körperliche Grundausbildung durchlaufen, die zunächst nichts mit den spezifischen Anforderungen der Sportart zu tun hat. Durch kleine Spiele, durch kindgerechtes Training müssen Motorik, Kraft und Dehnung geschult werden. Gezieltes Technik- und Taktik-Training dürfen erst danach einsetzen.