Totale Selbstüberschätzung

Studie mit 90 000 Schülern: Kinder und Jugendliche bewerten ihre körperliche Leistungsfähigkeit deutlich besser, als sie tatsächlich ist

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Über die umgedrehte Langbank zu balancieren und beim Vorwärtsgehen einen Ball auf den Boden zu prellen, ist eine Übung, mit der die Koordinationsfähigkeit der Kinder getestet wird.

Die Folgen von Bewegungsarmut und Sportverzicht: Kindern und Jugendlichen geht das Gefühl für ihre sportliche und körperliche Leistungsfähigkeit verloren. Kinder und Jugendliche neigen dazu, ihre sportliche Leistungsfähigkeit deutlich zu überschätzen. Zudem nimmt ihre körperliche Fitness weiter ab. Das sind zwei Ergebnisse einer Studie mit mehr als 90 000 Mädchen und Jungen in Deutschland.

Seit dem Jahr 2000 überprüfen das Wissenschaftliche Institut der Ärzte Deutschlands (WIAD), die AOK und der Deutsche Sportbund in ihrer Gemeinschaftsinitiative „Fit sein macht Schule“ die sportliche Fitness von Schülern im Alter zwischen sechs und 18 Jahren. Zu dem Programm gehört ein Test, den Sportwissenschaftler der Technischen Universität München entwickelt haben. Er umfasst sieben Übungen, mit denen sich Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Motorik der Kinder schnell bewerten lassen. Es gibt die Stationen Ballprellen von einer Langbank herunter, Halten mit angewinkelten Armen an der Sprossenwand, Zielwerfen mit einem Sandsäckchen, Rumpfbeugen mit durchgedrückten Beinen im Stehen auf einer Bank, Hochspringen aus dem Stand, Stufensteigen an einer Langbank sowie einen Sechs-Minuten-Lauf.

Vor dem Test können die Kinder und Jugendlichen in einem Erfassungsbogen eintragen, wie sie selbst ihre körperliche Leistungsfähigkeit bewerten. Ihre Angaben werden nach dem Test mit den tatsächlichen Ergebnissen verglichen. „Es hat sich herausgestellt, dass die meisten Schüler ihre körperliche Leistungsfähigkeit deutlich überschätzen. Bei Jungen ist diese Neigung noch stärker ausgeprägt als bei Mädchen“, berichtet Dr. Lothar Klaes, der Geschäftsführer des WIAD.

So beurteilen 66 Prozent der Jungen ihre Leistungsfähigkeit als „sehr gut“ und „gut“, im Test erreichen allerdings nur elf Prozent diese Wertung tatsächlich. Nur neun Prozent der Jungen befürchten vor den Übungen, ihre Ergebnisse könnten „nicht befriedigend“ und schlechter sein. In Wirklichkeit werden aber 25 Prozent mit „nicht befriedigend“ und schlechter bewertet. Bei den Mädchen halten sich 52 Prozent vor dem Test für „sehr gut“ und „gut“. Ein entsprechendes Ergebnis erzielen dann aber nur fünf Prozent. Zwölf Prozent der Mädchen schätzen ihre körperliche Leistungsfähigkeit als „nicht befriedigend“ und schlechter ein. Tatsächlich werden dann sogar 45 Prozent mit „nicht befriedigend“ und schlechter bewertet.

„Die Schlechten werden immer schlechter, und auch die Besten erzielen beim Test immer schlechtere Ergebnisse“, bedauert Klaes. Nur noch 80 Prozent der Jungen und 74 Prozent der Mädchen erreichen heute die Ausdauer-, Kraft- und Koordinationsleistungen ihrer Altersgenossen aus dem Jahr 1995. Und schon damals gab es Hinweise auf eine Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit.

Von den zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen, die bei den Tests am besten abgeschnitten haben, sind zwei Drittel Jungen. Von den zehn Prozent, die am schlechtesten waren, sind hingegen drei Viertel Mädchen. Schlüsselt man die Ergebnisse auf, so kann man erkennen, dass sich die meisten Schülerinnen mit sehr guten und guten Testergebnissen vorher richtig einschätzen: Bei 80 Prozent dieser Mädchen stimmt die Selbsteinschätzung. Aber 63 Prozent der Mädchen mit befriedigenden Ergebnissen geben sich vorher bessere Noten. Von den Schülerinnen, die die Übungen ausreichend und schlechter absolvierten, haben sich 37 Prozent Bestnoten erhofft.