Leichtes Übergewicht: dicke Überraschung

Laufband-Test: Zehn Kilo Übergewicht strapazieren Herz und Kreislauf in hohem Maße

Durch jedes Pfund zu viel auf den Rippen werden Gelenke, Stoffwechsel sowie Herz und Kreislauf stärker belastet. Wie sich zehn Kilogramm Übergewicht auswirken, hat die junge Sportlerin Katherina Böttge am eigenen Leib erfahren: Mit einer Bleiweste beschwert, rannte und sprang sie für einen medizinischen Test.

picture

Laufen mit zehn Kilo Übergewicht: Über die Atemmaske wird der Kalorienverbrauch gemessen. Zudem zapft Christian Alt vom Institut für Sport- und Präventivmedizin der Saarbrücker Uni an Katherinas Ohr einen Tropfen Blut ab, um die Laktat-Konzentration im Blut zu ermitteln.

picture

Mit diesem Spirometriegerät, das die Atemgase analysiert, wird der Kalorienverbrauch gemessen.

picture

Vor dem Test auf dem Laufband ist Katherina Böttge guter Dinge.

picture

Von den Sportmedizinern der Saar-Uni wurde Katherina beim Jogging auf dem Laufband betreut.

picture

Klimmzüge: Was sonst locker gelingt, ist mit Bleiweste nicht zu schaffen.

Wie kommt man zurecht, wenn man ein normales Körpergewicht hat, über Nacht aber plötzlich zehn Kilo schwerer wird? Wie wirkt sich das Übergewicht auf das Wohlbefinden und die körperliche Leistungsfähigkeit aus? Die Antworten darauf kann uns Katherina Böttge geben. Sie ist 15 Jahre alt und ist eine erfolgreiche Leichtathletin, Spezialdisziplin Sprint.

Katherina hat sich zu einem ungewöhnlichen Test bereit erklärt. Ihr Gewicht beträgt 65 Kilogramm bei einer Körpergröße von 1,71 Meter. Um das Gewicht der jungen Sportlerin auf 75 Kilo zu erhöhen, erweist sich nach einiger Suche eine kugelsichere Schutzweste als bestes Mittel, die die saarländische Polizei zur Verfügung stellt. Da die Weste allein jedoch nur sieben Kilo wiegt, werden noch drei Gewichte zu je einem Kilogramm hineingepackt, die von einem Bleigürtel der Taucherstaffel der Polizei stammen.

Mit ihrem Übergewicht präsentiert sich Katherina den Ärzten des Instituts für Sport- und Präventivmedizin an der Universität des Saarlandes. Dort wird bei einem Laufbandtest ermittelt, wie sich die zusätzlichen Pfunde auf die körperliche Leistungsfähigkeit auswirken. Vier Tage zuvor ist Katherina ohne die zusätzliche Last schon einmal auf dem Laufband gejoggt, um vergleichen zu können, welche Ergebnisse sie mit Normalgewicht und dann mit künstlichem Übergewicht erzielt. Ohne zusätzliche Last läuft sie 30 Minuten lang mit einer Geschwindigkeit von 8 km/h. „Dieses Tempo erreichen Sportler, die sich locker warm laufen“, erläutert der Sportmediziner Dr. Jürgen Scharhag. Ihm stehen noch die drei jungen Kollegen Friederike Rosenberger, Markus Fries und Christian Alt zur Seite, was die optimale Betreuung der jungen Sportlerin garantiert. Mit ihrem Normalgewicht absolviert Katherina die 30 Minuten auf dem Laufband ohne Probleme. Am Ende stuft sie ihre Belastung nach eigenem Empfinden als „leicht“ ein. Dass sie sich nicht verausgaben musste, zeigen auch die medizinischen Werte. Zu Beginn und nach Beendigung des Tests wird Katherina ein Tröpfchen Blut am Ohrläppchen abgezapft, um die Milchsäurekonzentration im Blut, das Laktat, zu messen. Daraus lässt sich ableiten, wie der Körper die Energie gewinnt, die er bei sportlicher Betätigung benötigt. Bei einer gleichmäßigen, geringen Belastung werden in der Muskulatur Kohlenhydrate (Zucker) und Fette mit Hilfe von Sauerstoff verbrannt. Bei intensiven Belastungen mit hohem Energiebedarf verläuft dieser Prozess allerdings zu langsam. Die Muskeln wandeln dann die Kohlenhydrate ohne Sauerstoff um. Bei dieser Art der schnellen Energiegewinnung entsteht jedoch vermehrt Milchsäure, die sich bei anhaltend hoher Belastung im Muskel ansammelt und ins Blut ausgeschwemmt wird. Der Muskel übersäuert und macht schlapp.

Beim Laufbandtest mit Normalgewicht wird bei Katherina vor dem Start ein Laktat-Wert von 0,8 Millimol pro Liter Blut ermittelt, zum Ende dann ein Wert von 2,8. „Alles im grünen Bereich“, kommentiert Jürgen Scharhag. Das heißt, die Laktatkonzentration im Blut ist nur leicht angestiegen. Katherinas Muskelzellen haben beim Laufen die Nährstoffe für die notwendige Energiegewinnung fast vollständig mit Hilfe des Sauerstoffs verbrannt.

Die Herzfrequenz, die vor dem Test bei 96 Schlägen pro Minute liegt – offensichtlich ist Katherina etwas aufgeregt –, steigt bis zum Ende des 30-Minuten-Laufs auf 198 Schläge. „Das scheint auf den ersten Blick zwar sehr hoch, ist aber für jugendliche Sportler durchaus in Ordnung“, erläutert Scharhag.

Um den Kalorienverbrauch der Läuferin zu messen, hat ihr Friederike Rosenberger, Doktorandin am Institut für Sport- und Präventivmedizin, ein so genanntes Spirometriegerät auf den Rücken geschnallt, das mit einer Atem-Maske verbunden ist. Dieses Gerät analysiert die aufgenommene Sauerstoffmenge und das Verhältnis zwischen eingeatmetem Sauerstoff und ausgeatmetem Kohlendioxid, woraus die Ärzte den Energieverbrauch errechnen können. Katherina hat nach 30 Minuten Laufband-Jogging 350 Kilokalorien verbraucht. Zum Vergleich: Eine Tafel Schokolade enthält 550 Kilokalorien. Eine Überraschung bringt vier Tage später der zweite Test – diesmal mit zehn Kilo künstlichem Übergewicht. Mit der Bleiweste beschwert, muss Katherina den Lauf nach 20 Minuten abbrechen. „Allgemeine Erschöpfung, schwere Beine, Gelenkschmerzen in beiden Füßen“, heißt es im ärztlichen Befund. Die Läuferin verspürt Schmerzen in der Wade und klagt über schwere Beine. „Durch mein höheres Gewicht ist es mir von Anfang an schwer gefallen, die Beine locker zu heben“, berichtet Katherina.

Der Laktatwert liegt am Ende bei 6,40 Millimol pro Liter Blut. Dies spricht für eine beginnende Übersäuerung. Infolge des zusätzlichen Gewichts benötigt Katherina mehr Energie, jedoch reicht der zur Verfügung stehende Sauerstoff dazu nicht aus, so dass die zusätzlich benötigte Energie ohne Sauerstoff gewonnen werden muss und sich vermehrt Laktat ansammelt. Die Muskulatur macht schlapp, die Beine werden schwer. Die Ausbelastung eines Sportlers beginnt ab etwa 8 mmol/l Blut. 400-Meter-Läufer erreichen Laktatwerte von 20 mmol/l.

Auf Katherinas körperliche Erschöpfung deutet auch die höhere Herzfrequenz hin. Nach zehn Minuten bereits messen die Mediziner eine Herzfrequenz von 196 Schlägen pro Minuten. Beim Test ohne Gewicht lag der Puls erst nach 30 Minuten bei 198 Schlägen. Nach 20 Minuten auf dem Laufband mit Bleiweste beträgt die Herzfrequenz 203 Schläge pro Minute. „Katherinas Herz-Kreislaufsystem ist jetzt ausbelastet“, formuliert es Sportmediziner Jürgen Scharhag. Katherina selbst stuft die Belastung nach 20 Minuten als „schwer“ ein.

Mit der Gewichtsweste hat die Läuferin 259 Kilokalorien verbraucht. Ohne Weste lag der Energieverbrauch nach 20 Minuten bei 233 Kilokalorien. Katherina benötigt mit dem Übergewicht gut zehn Prozent mehr Energie für die gleiche sportliche Leistung.

Die schweren Beine lassen sich durch die Übersäuerung der Muskulatur erklären, die Schmerzen in den Fußgelenken rühren sicherlich vom höheren Körpergewicht her. Die Belastung der Füße steigt proportional mit dem Gewicht. Doppeltes Gewicht erzeugt doppelte Belastung. Für Katherina heißt das: Da ihr Gewicht durch die Bleiweste um 15 Prozent steigt, belastet sie ihre Füße 15 Prozent stärker als normal. Bei höherem Tempo steigt die Belastung sogar im Quadrat: Doppelte Laufgeschwindigkeit verursacht eine vierfach höhere Belastung. Genau das trifft bei Katherina zu, da sie auf dem Laufband etwa doppelt so schnell unterwegs ist wie als Fußgängerin im Alltag.

„Wenn es gelingt, sein Übergewicht deutlich abzubauen, fallen sogar ohne Training alltägliche und auch sportliche Belastungen viel leichter, das Treppensteigen macht wieder Spaß“, kommentiert Professor Dr. Wilfried Kindermann, der Leiter des Instituts für Sport- und Präventivmedizin, das Ergebnis des Tests.