Haltungskorrektur: Was machen die Muskeln?

Um die Körperhaltung zu verbessern, reicht es nicht aus, alle Muskeln zu kräftigen. An einfachen Versuchen kann man zeigen, dass verschiedene Personen auch unterschiedliche Muskeln aktivieren, um ihre Haltung zu ändern.

In der Fachwelt ging man lange vom „klassischen“ Bild der Haltungsschwäche aus, demzufolge Bauch- und Rückenmuskulatur zu schwach und die Hüftbeugemuskulatur, die das Becken mit den oberen vorderen Oberschenkeln verbindet, zu stark verkürzt sind.
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Der Entstehungsmechanismus einer schwachen Haltung, der immer noch in Lehrbüchern dargestellt wird, geht davon aus, dass das Becken wie eine Wippe auf den Oberschenkelknochen lagert. Schwächt sich die Bauchmuskulatur ab, die das Becken eigentlich nach oben zieht (1 in nebenstehender Abbildung) und verkürzt sich die Hüftbeugemuskulatur (2), zum Beispiel durch langes Sitzen, so zieht das Becken am vorderen Ende nach unten (3). Als Folge dieser Beckenvorkippung bildet sich ein Hohlkreuz (4).

Entsprechend arbeiteten Physiotherapeuten mit ihren jugendlichen Patienten an einer Kräftigung der Bauch- und Rückenmuskeln und einer guten Dehnbarkeit der Hüftbeuger. Die Kidcheck-Ergebnisse zeigen, dass dies allein aber nicht bei allen Patienten Erfolg versprechend ist. Mit einer speziellen Messmethode, dem so genannten EMG (Elektromyographie), kann man die Aktivität der Muskulatur messen. Dazu werden Elektroden auf die Haut geklebt. Die elektrische Spannung, die ein Muskel erzeugt, wenn er aktiv ist, kann so in Milli-Volt (tausendstel Volt) registriert werden. Interessanterweise lässt sich feststellen, dass nicht jeder von uns die gleichen Muskeln in gleichem Maße zur Korrektur seiner Körperhaltung einsetzt. Am Beispiel eines 13 Jahre alten Jungen wollen wir dies verdeutlichen.

Im unteren linken Bild sehen Sie die Ruhehaltung des Jugendlichen. Der Haltungsindex beträgt 1,70 – ein schwacher Wert. Es ist auch deutlich zu erkennen, dass der Junge schlapp und ohne Körperspannung steht. Die darunter aufgetragenen Spuren des Messgerätes – ähnlich den Tonspuren auf einem Tonbandgerät – zeigen nur einen geringen Ausschlag. Jede Zeile steht für einen bestimmten Muskel, dessen Aktivität durch das EMG-Gerät gemessen wurde. Die Nummerierung der Muskeln entspricht der Benennung auf den beiden anatomischen Grafiken links.

Fordert man den Junge auf, seine Haltung zu korrigieren, so richtet er sich auf (2. Bild von links), gut zu erkennen an der veränderten Rückenkontur und dem auf 1,28 verbesserten Haltungsindex. Während der Aufrichtung zeigt das Messgerät einen Ausschlag bei drei Muskeln: bei den hinteren Oberschenkelmuskeln (7) und bei zwei Anteilen der Gesäßmuskulatur (4 und 6). Durch die Anspannung dieser Muskeln zieht der Jugendliche das Becken nach oben, und die Lendenwirbelsäule flacht sich ab. Dadurch richtet sich die Haltung auf.

Interessanterweise ist die Muskulatur von Bauch (1 und 2) und von Rücken (5) nicht aktiver als zuvor, das heißt, der Junge setzt sie zur Haltungsänderung nicht ein. Würde er – wie klassisch angenommen – vor allem seine Bauchmuskeln trainieren, so könnte man nicht unbedingt auf eine Verbesserung seiner Körperhaltung hoffen.

Das Beispiel zeigt sehr schön, dass es nicht nur wichtig ist, Muskeln durch Training zu kräftigen. Es ist von besonderer Bedeutung zu wissen, welche Muskeln eine Person bei welcher Bewegung überhaupt anspannt. Im Bereich der Haltungsänderung ist dies oft von Person zu Person verschieden.

Im 3. Bild fällt der Junge noch einmal in seine schlaffe Haltung zurück, die Muskelaktivitäten gehen gleichfalls zurück.

In der letzten Versuchssituation haben wir den Jungen aufgefordert, sich komplett anzuspannen – „hart zu werden wie ein Brett“. Es ist gut zu sehen, dass er jetzt alle Muskelgruppen anspannt, jede Spur des Messgerätes zeigt jetzt einen verstärkten Ausschlag. Um Haltung zu verbessern, muss man also zwei Dinge lernen: zunächst, welche Muskeln überhaupt angespannt werden sollen, und dann, wie stark sie angespannt werden müssen.